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Letzte Änderung
May 3, 2007

Klaus Giel anläßlich der Feier des 75. Geburtstags in Stuttgart

Es ist weder ein Verdienst noch ein Vergnügen, 75 Jahre alt geworden zu sein und also auch kein Grund zum Feiern. Daß man so lange hat leben dürfen freilich und immer noch Freude am Leben hat, darf wohl doch - irgendwie feierlich - bedacht werden. Daß es in dieser erlesenen Runde hochmögender Kollegen und Freunde geschehen kann, ehrt mich, und bringt mich zugleich in große Verlegenheit. So nehme ich, was mir hier widerfahren ist, als echtes Geschenk, das den Beschenkten er- und überhöht.
Der besondere Dank gilt natürlich Frau Bannmüller, die das Ganze organisiert, inszeniert und arrangiert hat. Mit dem Salon knüpft sie an die Idee der "freien Gesellschaft" an, der synousia, wie Schleiermacher sie genannt und von den Zweckverbänden, den koinoniai unterschieden hat. Man kann ihr nur wünschen, daß die Idee stark genug ist, sich durchzusetzen. Da Frau Bannmüller sie in der Leiblichkeit fundiert sieht, Epikur und Lukull ihren Beistand zugesagt haben, kann man mit guten Gründen hoffen. Rahel hatte ja wohl nur Tee gereicht: den aus deutschen Landen.
Sollte die Theorie des geselligen Betragen - über Schleiermacher hinaus - je fortgeschrieben werden, müßte die Funktion der "unsichtbaren Hand", der unaufdringlichen Regie kräftiger gezeichnet werden.
Ich freilich komme mir aller synousia zum Trotz wie ein Schnorrer auf hohem Niveau vor. In der Gegend, aus der ich komme, ist das Schnorren eine hohe Lebenskunst. Salcia Landmann hat den Schnorrern ein eigenes Kapitel gewidmet. Ich übe das Schnorren - leider - nicht als Kunst aus: ich kann es nicht, ich bin nur einer. So ist das Niveau auch nicht auf mein Können zurückzuführen, sondern auf die Großmut und Hochherzigkeit der Geber. Die Großmut der beiden Damen, Frau Kosaki und Frau Wenckus, ist kaum zu ermessen, zumal beide ein Erinnerungsbild von mir haben müssen, das nicht ohne Makel ist. Nach Philip Roth ist zwar niemand ohne Makel, aber meines ist schon nachgerade vom Bösen gezeichnet. Nach einem wunderbaren Konzert auf der Reisensburg im Rahmen eines Symposions japanischer und deutscher Philosophen, habe ich Frau Kosaki einer schändlichen Sektirerei durch die Universitätsverwaltung ausgesetzt; und der Frau Wenckus habe ich einen Flügel zugemutet, dessen Pedale zu Schönberg weder tonal noch seriell gequietscht haben. Ich schäme mich heute noch. Vielleicht ist es ja doch nur der Kunst vorbehalten, uns von allen Makeln zu befreien; und die Erinnerung an sie wird bleiben, wenn das Alter alle Makel und alle Schuld zugedeckt haben wird.
Dank auch Herrn Ehni: Eichendorff muß immer noch entdeckt, aus den Verkrustungen befreit werden, in denen er durch seine Vereinnahmungen erstickt wurde. Die Männerchöre und Wandervögel sind noch die harmlosesten unter seinen Ausbeutern. Dank nochmal für Ihren Beitrag. Das Grauen der Zeit, dies das keiner voll aussinnt, wo ist es genauer beschrieben als in der Strophe:

Und eh ich's gedacht, war alles verhallt,
die Nacht bedecket die Runde,
Nur von den Bergen noch rauschet der Wald,
Und mich schauerts im Herzensgrunde.

Was sonst noch zu sagen wäre, habe ich bei Fontane gefunden. Helmut Schaal, diese Anthologie auf zwei Beinen, hätte das Gedicht auswendig aufgesagt, ich bin schon froh, wenn ich es einigermaßen lesen kann.

"Unverständlich sind uns die Jungen"
Wird von den Alten beständig gesungen;:
Meinerseits möcht ich's damit halten:
"Unverständlich sind mir die Alten".
Dieses am Ruder bleiben Wollen
In allen Stücken und allen Rollen.
Dieses sich unentbehrlich vermeinen
Samt ihrer "Augen stillem Weinen",
Als wäre der Welt ein Weh getan -
Ach, ich kann es nicht verstahn.
Ob unsre Jungen in ihrem Erdreisten,
Wirklich was Besseres schaffen und leisten,
Ob dem Parnasse sie näher gekommen
Oder bloß einen Maulwurfshügel erklommen.
Ob sie, mit andern Neusittenverfechtern,
Die Menschheit bessern oder verschlechtern,
Ob sie Frieden sä'n oder Sturm entfachen,
Ob sie Himmel oder Hölle machen -
EINS läßt sie steh'n auf siegreichem Grunde:
Sie haben den Tag, sie haben die Stunde;
Der Mohr kann geh'n, neu Spiel hebt an,
Sie beherrschen die Szene, sie sind dran.

Dies also ist die neue Seite im Poesie-Album und ans Herz gelegt. Freilich: auch der Vorsatz, diese Seite zu beherzigen, unterliegt der Anfälligkeit und Korruptibiltät jeder Moral, deren Summe man am besten im Schwäbischen ausdrückt: mr sott!