|
Klaus Giel anläßlich der Feier des 75. Geburtstags
in Stuttgart
|
Es ist weder ein
Verdienst noch ein Vergnügen, 75 Jahre alt geworden zu sein
und also auch kein Grund zum Feiern. Daß man so lange hat
leben dürfen freilich und immer noch Freude am Leben hat, darf
wohl doch - irgendwie feierlich - bedacht werden. Daß es in
dieser erlesenen Runde hochmögender Kollegen und Freunde
geschehen kann, ehrt mich, und bringt mich zugleich in große
Verlegenheit. So nehme ich, was mir hier widerfahren ist, als
echtes Geschenk, das den Beschenkten er- und
überhöht.
Der besondere Dank gilt natürlich Frau Bannmüller, die
das Ganze organisiert, inszeniert und arrangiert hat. Mit dem Salon
knüpft sie an die Idee der "freien Gesellschaft" an, der
synousia, wie Schleiermacher sie genannt und von den
Zweckverbänden, den koinoniai unterschieden hat. Man kann ihr
nur wünschen, daß die Idee stark genug ist, sich
durchzusetzen. Da Frau Bannmüller sie in der Leiblichkeit
fundiert sieht, Epikur und Lukull ihren Beistand zugesagt haben,
kann man mit guten Gründen hoffen. Rahel hatte ja wohl nur Tee
gereicht: den aus deutschen Landen.
Sollte die Theorie des geselligen Betragen - über
Schleiermacher hinaus - je fortgeschrieben werden, müßte
die Funktion der "unsichtbaren Hand", der unaufdringlichen Regie
kräftiger gezeichnet werden.
Ich freilich komme mir aller synousia zum Trotz wie ein Schnorrer
auf hohem Niveau vor. In der Gegend, aus der ich komme, ist das
Schnorren eine hohe Lebenskunst. Salcia Landmann hat den Schnorrern
ein eigenes Kapitel gewidmet. Ich übe das Schnorren - leider -
nicht als Kunst aus: ich kann es nicht, ich bin nur einer. So ist
das Niveau auch nicht auf mein Können
zurückzuführen, sondern auf die Großmut und
Hochherzigkeit der Geber. Die Großmut der beiden Damen, Frau
Kosaki und Frau Wenckus, ist kaum zu ermessen, zumal beide ein
Erinnerungsbild von mir haben müssen, das nicht ohne Makel
ist. Nach Philip Roth ist zwar niemand ohne Makel, aber meines ist
schon nachgerade vom Bösen gezeichnet. Nach einem wunderbaren
Konzert auf der Reisensburg im Rahmen eines Symposions japanischer
und deutscher Philosophen, habe ich Frau Kosaki einer
schändlichen Sektirerei durch die Universitätsverwaltung
ausgesetzt; und der Frau Wenckus habe ich einen Flügel
zugemutet, dessen Pedale zu Schönberg weder tonal noch seriell
gequietscht haben. Ich schäme mich heute noch. Vielleicht ist
es ja doch nur der Kunst vorbehalten, uns von allen Makeln zu
befreien; und die Erinnerung an sie wird bleiben, wenn das Alter
alle Makel und alle Schuld zugedeckt haben wird.
Dank auch Herrn Ehni: Eichendorff muß immer noch entdeckt,
aus den Verkrustungen befreit werden, in denen er durch seine
Vereinnahmungen erstickt wurde. Die Männerchöre und
Wandervögel sind noch die harmlosesten unter seinen
Ausbeutern. Dank nochmal für Ihren Beitrag. Das Grauen der
Zeit, dies das keiner voll aussinnt, wo ist es genauer beschrieben
als in der Strophe:
Und eh ich's gedacht, war
alles verhallt,
die Nacht bedecket die Runde,
Nur von den Bergen noch rauschet der Wald,
Und mich schauerts im Herzensgrunde.
Was sonst noch zu sagen wäre, habe ich bei Fontane gefunden.
Helmut Schaal, diese Anthologie auf zwei Beinen, hätte das
Gedicht auswendig aufgesagt, ich bin schon froh, wenn ich es
einigermaßen lesen kann.
"Unverständlich sind uns
die Jungen"
Wird von den Alten beständig gesungen;:
Meinerseits möcht ich's damit halten:
"Unverständlich sind mir die Alten".
Dieses am Ruder bleiben Wollen
In allen Stücken und allen Rollen.
Dieses sich unentbehrlich vermeinen
Samt ihrer "Augen stillem Weinen",
Als wäre der Welt ein Weh getan -
Ach, ich kann es nicht verstahn.
Ob unsre Jungen in ihrem Erdreisten,
Wirklich was Besseres schaffen und leisten,
Ob dem Parnasse sie näher gekommen
Oder bloß einen Maulwurfshügel erklommen.
Ob sie, mit andern Neusittenverfechtern,
Die Menschheit bessern oder verschlechtern,
Ob sie Frieden sä'n oder Sturm entfachen,
Ob sie Himmel oder Hölle machen -
EINS läßt sie steh'n auf siegreichem Grunde:
Sie haben den Tag, sie haben die Stunde;
Der Mohr kann geh'n, neu Spiel hebt an,
Sie beherrschen die Szene, sie sind dran.
Dies also ist die neue Seite im Poesie-Album und ans Herz gelegt.
Freilich: auch der Vorsatz, diese Seite zu beherzigen, unterliegt
der Anfälligkeit und Korruptibiltät jeder Moral, deren
Summe man am besten im Schwäbischen ausdrückt: mr
sott!
|
|
|